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Private Abstinenz (2/2)

Privatprogramme nur in Ballungszentren

Jürgen Doetz, Präsident des Verbands Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT), fasste während der Medientage München 2004 die Situation aus Sicht der Privaten so zusammen: „Das Engagement der beiden großen privaten Senderfamilien bei DVB-T ist begrenzt. Wir schauen uns das erst mal eine Weile an.“ Wenn die Infrastrukturförderung durch die Landesmedienanstalten wegfallen würde, hätte man auf Seiten der Privaten kein Interesse mehr an DVB-T. „Über die Startregionen hinaus werden sich die großen Free-TV-Anbieter an DVB-T nicht weiter beteiligen.“ Und in den neuen Bundesländern werde man erst gar nicht antreten. Hier lohne sich die DVB-T-Verbreitung für die Privaten nicht. Randbemerkung: Der VPRT gehört zu den vehementen Gegnern jeglicher Rundfunkgebühren-Erhöhung, woraus sich (siehe oben) Einiges auch für DVB-T ergibt.

Diese Auffassung unterstrich Heiko Zysk für die Pro7Sat1-Senderfamilie Ende Oktober 2004. Die Privaten werden sich „nur an Startregionen beteiligen können, in denen es eine klare Aussicht auf die Refinanzierbarkeit der Kosten für den Sendebetrieb gibt“. Er bestätigte dieses klare Statement im Mai 2005: „Das digitale Antennenfernsehen war und ist für die ProSiebenSat.1 Media AG, als privatwirtschaftlich finanzierten TV-Veranstalter, immer auf klar definierte Ballungsräume begrenzt.“ Es ist also nicht damit zu rechnen, dass sich die die beiden großen bundesweit aktiven Programmfamilien (Pro7Sat1 und RTL) über die bisherigen Startgebiete hinaus an DVB-T-Angeboten beteiligen werden.

Harte Fakten: Flächendeckend ist DVB-T für die Privaten zu teuer

Diese Argumentation wird durch die Fakten gestützt. Ein Beispiel: In den drei mitteldeutschen Bundesländern gibt es etwa 4,1 Millionen Fernsehhaushalte. Die DVB-T-Verbreitung in beiden Startinseln kostet pro Kanal etwa 1,66 Millionen Euro. Dort werden etwa 2,7 Millionen Haushalte per DVB-T versorgt werden. Die Kosten für eine mit den anderen deutschen Startregionen vergleichbare Sendequalität („Portabel Outdoor“) betragen dort nach Angaben der baden-württembergischen Landesanstalt für Kommunikation (LfK) 25 Cent pro Programm, Einwohner und Jahr. Die Vergleichswerte liegen für Berlin bei 5 Cent, Bayern bei 10 Cent, Hessen bei 9 Cent, Norddeutschland bei 14 Cent und NRW bei 7,5 Cent. Mitteldeutschland ist also schon bei der Betrachtung der Kosten pro versorgtem Einwohner die teuerste der hier untersuchten DVB-T-Region.
Zur Hintergrund-Information eine Statistik
der Nutzung der TV-Empfangswege in Deutschland.


Diese Schere öffnet sich noch weiter, wenn die Kosten auf die tatsächlich erreichten Antennenzuschauer oder die TV-Haushalte bezogen werden. Christian Schurig von der Arbeitsgemeinschaft der mitteldeutschen Landesmedienanstalten ging im Mai 2004 davon aus, dass in den drei Bundesländern maximal 3 Prozent der versorgten Zuschauer (also etwa 81.000) auch tatsächlich auf die Antenne als ihren einzigen Empfangsweg angewiesen sind. Laut TV-Statistik werden dort um die 42.000 Haushalte per Antenne erreicht. So ergeben sich (nach meiner Berechnung) Kosten von mehr als 5 Euro pro Jahr, Programm und erreichtem Zuschauer.

In Mecklenburg-Vorpommern sieht es nicht besser aus. Gerade 2,3 Prozent der 800.000 TV-Haushalte (also nur etwa 18.400!) dieses Bundeslandes empfangen das Fernsehen per Antenne (Stand: Ende 2003). Da wundert es nicht, dass die Privaten auf die Verbreitung per Antenne gerne verzichten.

Jetzt könnte man sagen: In Berlin/Potsdam wurde den Privaten der Umstieg mit einem Zuschuss der Landesmedienanstalt versüßt. „Die Landesmedienanstalten werden sich der Forderung der Privaten nach Anschubfinanzierung stellen“, so Schurig. Allerdings räumt er ein, dass die Mittel dafür nicht vorhanden sind. Die im April 2005 wirksame werdende Erhöhung der Rundfunkgebühren (aus denen die Landesmedienanstalten finanziert werden) schließt zusätzliche Mittel für die nächsten fünf Jahre aus. Obendrein haben einige Kabelnetzbetreiber bei der EU Beschwerde gegen die Berliner Förderpraxis eingelegt. Bis in ein paar Jahren eine Entscheidung aus Brüssel kommt, wird es keine Fördermittel geben können.

Zusammenfassung

Die beiden bundesweit aktiven privaten Programmfamilien Pro7Sat1 (mit den Programmen Pro7, Sat1, N24, Kabel1) und RTL (RTL, RTL2, SuperRTL, Vox) werden sich über die bis Mitte 2005 versorgten Ballungsgebiete hinaus in weiteren DVB-T Startinseln nicht beteiligen. Das gilt erst recht für alle Gebiete, in denen diese Programme bisher per Antenne nicht zu empfangen waren.

Damit dürfte klar sein, dass sich ausschließlich die öffentlich-rechtlichen Anstalten in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Saarland, in der Startinsel Nordhessen (Raum Kassel) sowie in den noch nicht versorgten Gebieten zwischen den bisherigen Startinseln beteiligen. Von ihnen werden maximal drei Multiplexe (je eines für bundesweite Angebote der ARD, das ZDF und die Landesrunkfunkanstalt) belegt werden. Unklar ist die Lage noch (Stand: April 2005) in den geplanten baden-württembergischen Startinseln.

Update

ARD und ZDF haben sich zwar im Februar bzw. März 2005 zur flächendeckenden Einführung von DVB-T bekannt. Allerdings sind sie aufgrund einer am 1.4.2005 in Kraft getretenen Änderung des Rundfunk-Staatsvertrages nicht mehr dazu verpflichtet. Sie dürfen jetzt die analoge Antennenverbreitung regional abschalten. In diesem Fall sind sie verpflichtet, die Zuschauer auf andere Empfangswege (also Kabel bzw. Satellit) zu verweisen.

„Angestrebt wird im Endausbau eine Versorgung von 90 Prozent der Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern über Dachantennenempfang“, heisst es in einer Ausschreibung für das Küstenland. Das deutet darauf hin, dass ARD und ZDF die immensen Kosten nicht scheuen, obwohl kaum Zuschauer (in MVP empfangen nach Statistik weniger als 19.000 Haushalte Fernsehen per Antenne) erreicht werden. Der Stand der Dinge ist der nebenstehenden Karte zu entnehmen.

Update 2 (September 2007)

Seit 2006 gab es immer wieder Gerüchte um einen möglichen Einstieg von RTL. Genannt wurden u.a. Stuttgart, Gütersloh und mitteldeutsche Gebiete. Vertreter von Landesmedienanstalten nährten die Gerüchte. Nach einem Bericht der Stuttgarter Zeitung vom September 2007 hat RTL den Wunsch bekundet, im Raum Stuttgart Programme per Digitalantenne zu verbreiten. Das allerdings nicht mit DVB-T: RTL wolle per DVB-T2 senden, hieß es. Mit dieser Technik könnten ab 2009 bis zu acht Programme in einem Kanal verbreitet werden - damit das wirtschaftlich wird, dürften auch die derzeit drei Pay-Programme des Konzerns angeboten werden.

Update 3 (Februar 2009)

Nicht DVB-T2 aber MPEG-4 macht schließlich aus der vorstehenden Spekulation Realität: Seit Oktober 2009 belegt RTL mit den Programmen RTL, RTL2, Vox und SuperRTL sowie dem Pay-Programmen RTL Crime und Passion in der Region Stuttgart (1,6 Mio. Haushalte) den ersten privaten Multiplex unter dem Namen Viseo+. Im Dezember 2009 startete das Paket auch in Halle und Leipzig.

Der Preis dafür ist hoch: Die Zuschauer brauchen nicht nur neue Geräte. Das gesamte Paket ist mit Conax grundverschlüsselt. Geeignete Geräte gibt es nur bei der mit der Vermarktung beauftragten Firma Eutelsat visAvision. Gerät, Smartcard und Freischaltung kosten 100 Euro. Die beiden Pay-Programme gibt es ein Jahr kostenlos, danach wird eine Monatsgebühr von 2,90 Euro verlangt. Viseo+ ist im Grunde ein Pay-Angebot durch die Hintertür.

Bringt dieses Engagement von RTL einen zweiten Anschub für DVB-T? Die jährlichen Digitalisierungsberichte weisen für die drei Bundesländer, in denen Viseo+ verfügbar ist, Widersprüchliche Trends aus.

Ausblick

Nun richten sich die Spekulationen darauf, ob das RTL-Paket ein Versuchsballon ist, um mittelfristig auch in den anderen Ballungszentren auf MPEG-4 und Grundverschlüsselung umzusteigen. Werden Stuttgart und Mitteldeutschland zum Testfall für die Abkehr von der bisherigen Abstinenz-Strategie der Privaten außerhalb der Ballungszentren? Ist das Ende des privaten Free-TV via DVB-T dafür der Preis? Und: Wird der mittelfristig anstehende Umstieg auf DVB-T2 zum Auslöser für den Umstieg aller Privaten auf Pay-TV-Plattformen?

Quellen:
• dehnmedia-Meldung zu RTL/MPEG-4 vom 12.2.2009.
Ausschreibung für Leipzig (pdf).
• Meldung der Stuttgarter Zeitung vom 11.9.2007 zum möglichen RTL-Einstieg.
• Letzte Meldung aus der Gerüchteküche um den Einstieg privater Programme.
Interview mit Martin Deitenbeck (SLM) in der „Leipziger Volkszeitung“, 19. Januar 2005.
• Gebührenstatistik der GEZ, Stand 30.6.2004 („Media Perspektiven“ Nr 8/2004, Print-Ausgabe).
Ausgewählte Daten zur Mediensituation in Deutschland. Komplett veröffentlicht in „Media Perspektiven - Basisdaten 2004“, Januar 2005, Print-Ausgabe).
• „Kostenvergleich der DVB-T Startinseln“ (LfK Baden-Württemberg, Juli 2004).
• Pressekonferenz zur Startvereinbarung in Mitteldeutschland, Leipzig, 5. Mai 2004 (Presseinfo).
Presseinfo des DVB-T Projektes Bayern vom 3. Mai 2005.
• Flyer der Landesmedienanstalt Saar zum Stand von DVB-T.
Presseinfo der Medientage München vom 20.10.2004 zur Veranstaltung „DVB-T: Zwischen Euphorie und Skepsis".
Presseinformation zum DVB-T-Start in Hamburg und Lübeck vom 26. Oktober 2004.
• Der „8. Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge“. Zu beachten ist Paragraph 52a(2).
• Ausschreibung der LRZ für einen privaten Multiplex in MVP.
• Eigene Interviews mit Vertretern privater Programmfamilien.


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