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Roadmap ohne (Aus-) Weg?

Digitalradio-Schriftzug ab 5/2107 Das Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur (BMVI) berief 2015 ein Digitalradio-Board ein. Es sollte die Marschroute in Richtung Hörfunk-Digitalisierung festlegen. Am Ende einjähriger Beratungen standen ein eher weichgespülter „Aktionsplan für die Transformation der Hörfunkverbreitung in das digitale Zeitalter“ und der Auszug des Lobbyverbandes VPRT aus dem Digitalradio-Board. Dann folgte eine Überraschung aus dem Bundeskabinett.

Der VPRT begründete seinen Schritt u.a. mit einer „fehlenden Akzeptanz der Konsumenten“ und einer technischen Orientierung des Ergebnispapiers auf die „landesweiten und bundesweiten Bedürfnisse der ARD“. Die „vielfältigen lokalen und regionalen Angebote der privaten Anbieter bleiben de facto unberücksichtigt“, klagt der Verband und fordert nach wie vor öffentliche Mittel für einen Parallelbetrieb von UKW und DAB+.

Überhaupt seien die Privatradios einem „immer höheren Wettbewerbsdruck ausgesetzt“. Dafür sei - neben der internationalisierten Konkurrenz - der Ausbau der Jugendangebote durch die ARD verantwortlich. Das alles führe „in Summe zu einer Existenzbedrohung der vielfältigen lokalen Radioangebot“. Letztlich soll, so der VPRT, eine „weitere Diskussion mit der Medienpolitik“ den Wettbewerb zum Vorteil der Privaten regulieren (also: kraft Gesetzes einschränken).
UKW als analoges Medien-Biotop.
DAB+ für Lokalradios - gegensätzliche Konzepte in Bayern und NRW.

„Digitale Transformation“ und selbstgemachte Existenzbedrohung

Neues ist dem VPRT nicht eingefallen. Natürlich wird nicht die von vielen Privatradios betriebene Strategie der Programmvervielfältigung verantwortlich gemacht. Versucht wird, die computerproduzierten Dudelwellen aus dem vom VPRT für ein Zukunftsfeld gehaltenen Internet nach UKW zu verschieben. Damit soll der eigene Anteil an den wenigen Sendeplätzen erhöht werden - Marktverdrängung.

Wie diese Billigwellen funktionieren beschreibt das Radiounternehmen Regiocast anlässlich des Starts seines 90s90s-Webradios:
„Wie bei 80s80s setzt Regiocast bei der Produktion auf seinen digitalen Technologiebaukasten aus CMS (Content Management System, dehnmedia) Systemen, webbasierten Musikplanungs- und Play-out-Systemen und treibt damit die digitale Transformation konsequent voran.“
Bei diesen Konzepten sind Wortbeiträge störend - vor allem aber: Journalisten sind das Teuerste an einem Programm. Natürlich müssen auch diese Billigradios durch Werbung finanziert werden. Der Werbemarkt vervielfältigt sich - im Gegensatz zu den Radioprogrammen - aber überhaupt nicht. Je mehr Programme konkurrieren, desto geringer wird der Anteil der Werbeeinnahmen für jeden einzelnen Veranstalter. Das könnte ein Grund für die Krise der Privatradios sein.

M.E. geht auch der Angriff auf die ARD ins Leere: Junge Hörer zu erreichen ist die gesetzliche Aufgabe der ARD. Die Wettbewerbssituation wird dadurch (auch wegen der geringen Werbung in den ARD-Radios) nicht geändert. Der Erfolg der ARD-Jugendradios entsteht wohl gerade aus ihrer Erkennbarkeit - und die ergibt sich durch die redaktionellen Inhalte und die Leistungen der Journalisten. Da kann keine automatische Diskothek mithalten.

VPRT will Diskussion zurückrollen und steigt aus Digitalradio-Board aus

Die schon erwähnte „Roadmap“ wurde im Dezember 2016 fertig. Schon vor der offiziellen Veröffentlichung wurden einige Kernpunkte bekannt: U.a. sollen UKW-Plätze, die frei gegeben werden, nicht am Wettbewerber weiter gegeben werden. Eher im Sinne der Privaten ist der Verzicht auf jegliche Termine. Stattdessen werden drei Phasen genannt - ohne Zeiträume vorzugeben.

Ende 2016 meldete sich der VPRT mit einem Positionspapier „Die Top 7 zur Transformation der Hörfunkverbreitung ins digitale Zeitalter“ zu Wort. Das macht vor allem die Unzufriedenheit mit der „Roadmap“. Der VPRT setzt auf eine Verzögerungsstrategie und forderte nunmehr den nächsten Debattierclub - diesmal einen Runden Tisch. Alles nochmal auf Anfang?

Lascher „Aktionsplan“ statt konsequenter Umstiegs-Roadmap

Faktencheck
2015 wurden 1 Mio.
   DAB+-Radios verkauft,
   2016 1,2 Mio. Stück.
Mitte 2016 standen
   DAB+-Radios in 8,24 Mio.
   Haushalten.
22 Prozent der Deutschen
   besassen Ende 2016
   ein DAB+-Radio.
Die Haushaltsausstattung
   lag Mitte 2016 in
   Sachsen-Anhalt bei 15,6,
   in Bayern bei 15, in BaWü
   bei 14,6%.
2016 hatten 21% der
   Neuwagen ein DAB+-
   Radio, 2015 waren es
   nur 14%.


Aus Sicht des VPRT „ja“ - obwohl der „Aktionsplan für die Transformation der Hörfunkverbreitung in das digitale Zeitalter“ kaum etwas enthält, was Interessen der großen Privatradio-Veranstalter im VPRT zuwiderläuft. Abgesehen von der leidigen Frage, dass mit einer Digitalisierung die Konkurrenz stärker werden kann. Der VPRT verabschiedete sich kurz vor der Veröffentlichung der Roadmap aus dem Digitalradio Board (und damit auch von dem kurz vorher geforderten Runden Tisch?). „Neue Technologien kann man politisch nicht verordnen. Sie müssen die Konsumenten überzeugen und sich im Markt von sich aus durchsetzen“, argumentiert der Verband.

Alle anderen Beteiligten, auch der Konkurrenzverband APR, tragen das 20seitige Papier mit, das Mitte Februar veröffentlicht wurde. Der „Aktionsplan für die Transformation der Hörfunkverbreitung in das digitale Zeitalter“ erweist sich allerdings schon auf dem Titelblatt nur als „Entwurf“ einer „Roadmap“, der nach der Lösung einiger Aufgaben und einer Evaluation in ein anderes Dokument mündet. Ob dieses den Weg in die medienpolitischen Diskussionen der Politiker der Landesregierungen und des Bundes führen könnte, bleibt abzuwarten. Eine so vage gehaltene Perspektive kommt wohl eher dem VPRT entgegen, der DAB+ aussitzen will, bis es zwischen den Beteiligten zerrieben wurde.

„Nur keinem weh tun“ - Eckpunkte der Roadmap

Der Aktionsplan beschreibt u.a. acht Maßnahmen zusammen, die als nächste Schritte erwartet werden. Das sind:
1. Um die Digitalisierung des Hörfunks zu unterstützen, schlägt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur vor, im Telekommunikationsgesetz eine Bestimmung aufzunehmen, nach der die große Mehrheit von Hörfunkempfangsgeräten künftig mindestens auch mit einer digitalen Schnittstelle ausgestattet sein muss, die den Empfang und die Wiedergabe digital codierter Inhalte ermöglicht, soweit dies europarechtlich zulässig ist. Zur Erreichung von Mengenvorteilen bei der Produktion wird Deutschland außerdem für eine Übernahme der Regelung in die Rechtsrahmen der anderen EU-Mitgliedsstaaten werben.
Kommentar: Genau das hatte die Bundesregierung im November 2016 abgelehnt. Ändert sich das mit einer neuen Regierung Merkel?
2. Entscheidet ein öffentlich-rechtlicher Rundfunkveranstalter, die Verbreitung seines Programms über UKW ganz oder teilweise einzustellen, stehen die hierdurch frei werdenden Übertragungskapazitäten für eine Realisierung von zusätzlichen oder veränderten Bedarfen für analoge Rundfunkübertragung nicht mehr zur Verfügung. (Zu regeln über die Frequenzverordnung des Bundes oder Länderrecht.)
Kommentar: ARD und D-Radio werden ihre UKW-Frequenzen nur aufgeben, wenn sie durch die KEF bzw. die Bundesländer (s.u.) dazu gezwungen werden. Das BMVI schiebt Verantwortung an die Länder weiter.
3. Der Bund fördert den Ausbau digitaler Hochgeschwindigkeits-Breitbandnetze aktuell mit 4 Milliarden Euro. Eine Fortsetzung der Fördermaßnahmen ist vorgesehen. Daneben treten Fördermaßnahmen der Länder.
Kommentar: Das sagt nur, dass das Digitalradio-Board den Breitband-Plänen der Bundesregierung nicht im Weg steht und z.B. auf Fördermittel aus der letzten Frequenzauktioon verzichtet.
4. Für die Realisierung eines zweiten bundesweiten DAB+-Multiplex stellt die Bundesnetzagentur die erforderlichen Übertragungskapazitäten bereit. Dies schließt optional auch die Nutzung des Kanals 5A mit ein, wo dies ohne eine Beeinträchtigung der benachbarten BOS-Nutzungen möglich ist.
Kommentar: Ein Muster ohne Wert, denn die Frequenzen wurden bereits bereit gestellt.
5. Die Sendernetzbetreiber, die Automobilindustrie, der private und der öffentlich-rechtliche Rundfunk schaffen mit einer gemeinsamen Vereinbarung die Voraussetzungen dafür, dass TPEG im Bereich des Rundfunks voll nutzbar wird.
Kommentar: Ein sinnvoller Vorschlag, damit die umfangreichen TPEG-Verkehrsinfos für die Allgemeinheit nutzbar zu machen. Aber: Warum sollten die Privatradios, die DAB+ ablehnen, sich damit überhaupt beschäftigen?
6. Die Marktbeteiligten werden sich bis Mitte 2017 über eine Methode zur Ermittlung der DAB+-Geräteausstattung verständigen.
Kommentar: Man sollte davon ausgehen, dass die bisherigen GfK-Befragungen das (wie für andere Produkte auch) in ausreichender Weise leisten. Die Politik zeigt auch hier wenig Entscheidungswillen und schiebt das Thema an das Digitalradio-Board ab.
7. Die Marktteilnehmer werden in Abstimmung mit der agma eine Weiterentwicklung der Messmethoden erörtern, die auch die Nutzung der digitalen terrestrischen Verbreitung umfasst. Ziel soll es sein, die Reichweiten in einer zunehmend vielfältigen Radiolandschaft diskriminierungsfrei, objektiv, adäquat und vergleichbar für alle Verbreitungswege zu ermitteln. Ab 2018 soll die Radionutzung über UKW und DAB+ auf Basis der weiterentwickelten Messmethode veröffentlicht werden. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass der für die Werbungtreibenden notwendige Leistungsnachweis der Privatradios nicht beschädigt wird.
Kommentar: Eine brauchbare Reichweiten-Erhebung über UKW und DAB+ ist die Voraussetzung für die Festlegung der Werbepreise.
8. Bund und Länder begleiten den Entwicklungsprozess von der analogen zur digitalen Hörfunkverbreitung. Sie vereinbaren, diese Roadmap zu evaluieren und fortzuentwickeln.
Kommentar: Noch so eine Nullnummer. Vom Entwurf des Digital-Boards zum Entwurf eines Runden Tischs? Die Politik macht deutlich, dass sie die Entwicklung einer digitalen Zukunft des Hörfunks nicht gestalten will.
Die Beschreibung der acht Massnahmen wurde wörtlich aus dem Aktionsplan (Download) übernommen.

Willi Schreiner, der Vorsitzende von Digitalradio Deutschland, zeigte sich aus gutem Grund enttäuscht. Es handele sich um ein „ausgedünntes“ sehr allgemeines Konzept. DAB+ werde nicht mehr befürwortet. „Vieles bleibt sehr unkonkret und wurde wohl unter der Prämisse 'nur keinem weh tun' formuliert“. Schreiner setzt allerdings darauf, dass die „normative Kraft des Faktischen“ DAB+ vorantreiben wird.

Das Interesse der Politik an der Hörfunk-Digitalisierung scheint nicht besonders hoch zu sein. Zudem könnte das Thema nach den Wahlen im September 2017 von der Bundes-Agenda wieder verschwinden. Nach dem „Aktionsplan ...“ nehmen nur die Befürworter des digitalen terrestrischen Hörfunks Verpflichtungen auf sich. Was nach deren Erfüllung passiert, bleibt offen. Abgesehen von der Frage, ob diese Aufgaben wegen der Blockade des VPRT überhaupt gelöst werden können.

Weitere Informationen:
Dokumentation: Aktionsplan für die Transformation der Hörfunkverbreitung in das digitale Zeitalter. Roadmap / Entwurf, Februar 2017 (download).
Länderkommission diskutiert die Roadmap vom 16.3.2017.
Problemfelder und Erfolgs-Kriterien vom 9.3.2017.
DAB+-Roadmap scheitert am Privatfunk (4) vom 21.2.2017.
DAB+-Roadmap scheitert am Privatfunk (3) vom 20.2.2017.
DAB+-Roadmap scheitert am Privatfunk (2) vom 17.2.2017.
dehnmedia-Meldung: Mehr Private dabei - aber noch nicht genug vom 10.2.2017.
DAB+-Roadmap scheitert am Privatfunk (1) vom 3.2.2017.
Dokument: Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 4.1.2017.
VPRT ist mit der Roadmap nicht zufrieden vom 1.12.2016, Positionspapier.
Presseinfo von Regiocast zu 90s90s vom 30.11.2016 (bei radioszene.de).
Es bleibt bei 17,50 Euro bis Ende 2020 vom 29.10.2016.
Erste Infos zur DAB+-Roadmap vom 27.10.2016.
ARD setzt auf raschen Ausbau von DAB+ (20. KEF-BEricht) vom 20.4.2016.
Echo zum 20. KEF-Bericht (1) (D-Radio, VPRT) vom 14.4.2016.
KEF kürzt Budget und fordert Bekenntnis (20. KEF-Bericht) vom 13.4.2016.



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